Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,2

Die Polizei hatte ermittelt und getan, was sie konnte. Inzwischen waren neun Manager und Politiker samt ihren Familien tot.

Ich seufzte.

Lassi zuckte mit den Schultern und schien zufrieden mit der Reaktion, die ich gezeigt hatte. »Ich sagte ihr, dass es zu nichts führt«, erklärte er. Ich bemerkte einen leisen Triumph in seiner Stimme. »Dass sie nichts erfahren wird, was die Polizei nicht auch herausfindet. Außerdem wünscht unsere rapide schrumpfende Leserschaft so etwas nicht. Das ist nur deprimierend. Die Leute wissen auch so, dass alles beschissen ist.«

Ich drehte mich um und blickte hinaus auf die dunkle Töölö-Bucht. Ich wusste, dass an ihrem Ufer Gebäude standen, obwohl ich sie nicht sehen konnte. »Hatte Johanna die Story schon fertig?«, fragte ich, als wir unserem eigenen Atem und dem des Hauses genug gelauscht hatten.

Lassi lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich aus halb geschlossenen Augen an, so als befände ich mich fern am Horizont und nicht auf der anderen Seite des Schreibtisches. »Wieso?«

»Johanna und ich halten ständig Kontakt«, erklärte ich. Schon jetzt wusste ich, dass ihn nichts weniger inter­essierte. Mir schoss durch den Kopf, dass man manchmal Dinge nicht nur zu dem Zweck wiederholte, andere Menschen zu überzeugen. »Das bedeutet nicht unbedingt permanent. Aber normalerweise schicken wir uns alle paar Stunden eine SMS oder E-Mail. Auch dann, wenn wir nichts Besonderes auf dem Herzen haben. Manchmal schreiben wir nur zwei, drei Worte. Irgendetwas Lustiges, auch mal eine kleine Zärtlichkeit. Das ist bei uns so üblich.« Den letzten Satz betonte ich absichtlich.

Lassi lauschte mit zurückgelegtem Kopf und ausdrucksloser Miene und, wenn ich es richtig interpretierte, ohne jedes Interesse.

»Jetzt habe ich vierundzwanzig Stunden nichts von ihr gehört«, fuhr ich fort und begriff, dass ich meine Worte an mein Spiegelbild im Fenster richtete. »Das ist der längste Zeitraum ohne ein Wort von ihr in den zehn Jahren, die wir verheiratet sind.« Ich machte eine kleine Pause, ehe ich, sämtliche Klischees bedienend und sie gleichzeitig völlig ignorierend, sagte: »Ich bin mir sicher, dass etwas passiert ist.«

»Es ist etwas passiert?«, fragte Lassi, nachdem er die üblichen paar Sekunden hatte verstreichen lassen. Solche Pausen dienen nur einem Zweck: die Frage des Gesprächspartners zu torpedieren und zu erreichen, dass alles, was der andere sagt, idiotisch und überflüssig klingt.

»Ja«, bestätigte ich trocken.

Lassi sagte eine Weile gar nichts. Dann beugte er sich vor, wartete und äußerte: »Nehmen wir mal an, dass das stimmt. Was wirst du machen?«

Ich brauchte nicht erst so zu tun, als ob ich nachdachte, sondern sagte sofort: »Eine Vermisstenmeldung dürfte überflüssig sein. Die Polizei kann die Anzeige sowieso nur aufnehmen. Vermisstenfall Nummer 5021.«

»Stimmt«, bestätigte Lassi. »Und vierundzwanzig Stunden sind keine sehr lange Zeit.«

Ich hob die Hand, so als wollte ich genau diese Behauptung auch physisch abwehren. »Wie gesagt, wir halten laufend Kontakt. Und für uns sind vierundzwanzig Stunden tatsächlich eine lange Zeit.«

Lassi bemühte sich kaum, seine Gereiztheit zu verbergen. Seine Stimme hob sich und nahm zugleich an kalter Schärfe zu, auch sprach er schneller: »Wir haben Reporter, die eine ganze Woche draußen unterwegs sind. Dann kommen sie zurück mit einer fertigen Story. So läuft das hier bei uns.«

»War Johanna je eine ganze Woche unterwegs, ohne Bescheid zu sagen?«

Lassi hielt den Blick auf mich gerichtet, trommelte mit den Fingern auf die Armlehne, kräuselte die Lippen. »Nein, zugegebenermaßen.«

»Es ist einfach nicht ihre Art«, sagte ich.

Lassis Ungeduld hatte jetzt seinen ganzen Körper erfasst. Er rutschte in seinem Sessel hin und her und sprach schnell, wie um sich zu beeilen und zu betonen, dass er recht hatte: »Tapani, wir versuchen hier, eine Zeitung zu machen. Werbeeinnahmen gibt es faktisch nicht, und als Faustregel gilt, dass sich niemand für irgendetwas inter­essiert. Außer natürlich für Sex und Porno und für Skandale und Enthüllungen, die mit Sex und Porno zu tun ­haben. Die Ausgabe von gestern hatte endlich mal wieder richtig viele Leser. Und wir hatten darin keineswegs tiefschürfende Reportagen über tausend verschwundene Sprengköpfe oder investigative Recherchen zum Thema, wie lange das Wasser, das aus dem Hahn kommt, noch trinkbar ist. Nebenbei bemerkt, ich vermute, etwa eine halbe Stunde. Unser Aufmacher gestern war das Tiersexvideo einer Sängerin. So was wollen die Leute, dafür zahlen sie.« Er holte Luft und fuhr fort, in noch schärferem und ungeduldigerem Ton als vorher: »Und dann habe ich Journalisten, wie etwa Johanna, die die Wahrheit schreiben wollen. Ich frage sie immer: welche verfluchte Wahrheit? Und sie ­haben keine richtige Antwort darauf. Außer natürlich die, dass die Leute alles erfahren müssen. Ich frage dann, ob die Leute das überhaupt wollen. Vor allem, ob sie dafür bezahlen wollen, mehr zu erfahren.«

Als ich sicher