Das Spinoza-Problem - By Yalom, Irvin D Page 0,2

und das Wohnzimmer und stieg dann die schmale, steile Treppe zum kleinen, unspektakulären Schlafzimmer hinauf. Flüchtig sah ich mich in der einfachen Kammer um und wollte gerade wieder hinuntersteigen, als mein Blick auf einem dünnen, quadratischen Riss in einer Ecke der Zimmerdecke hängen blieb, der etwa sechzig mal sechzig Zentimeter groß war.

»Was ist das?«

Der alte Hausmeister stieg ein paar Stufen hinauf, um nachzusehen, und sagte mir, es sei eine Falltür, die in einen winzigen Dachbodenraum führte, wo zwei Juden – eine ältere Mutter mit ihrer Tochter – während des Krieges vor den Nazis versteckt gehalten wurden. »Wir gaben ihnen zu essen und haben uns um sie gekümmert.«

Draußen ein Feuersturm! Vier von fünf holländischen Juden von den Nazis ermordet! Und währenddessen wurde oben im Spinoza-Haus rührend für zwei jüdische Frauen gesorgt, die sich den ganzen Krieg über auf dem Dachboden versteckt hielten. Und unten wurde das winzige Spinoza-Museum geplündert, versiegelt und von einem Beamten der Rosenberg-Einsatztruppe enteignet, der glaubte, dass seine Bibliothek den Nazis helfen könnte, ihr »Spinoza-Problem« zu lösen. Und was war ihr Spinoza-Problem? Ich fragte mich, ob dieser Nazi, Alfred Rosenberg, vielleicht seine eigenen Beweggründe hatte, um nach Spinoza Ausschau zu halten. Ich hatte das Museum mit einem Geheimnis betreten und verließ es nun mit deren zwei.

Kurz danach begann ich zu schreiben.

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AMSTERDAM, APRIL 1656

Wenn sich die letzten Sonnenstrahlen im Wasser des Zwanenburgwal spiegeln, macht Amsterdam Feierabend. Die Färber sammeln ihre magenta- und purpurfarbenen Stoffe ein, die auf den Steinufern des Kanals trocknen. Händler rollen die Markisen ein und schließen die Läden ihrer Verkaufsstände. Ein paar Arbeiter, die nach Hause schlurfen, bleiben kurz an den Heringsständen am Kanal stehen, genehmigen sich einen schnellen Imbiss mit holländischem Gin und setzen dann ihren Weg fort. Amsterdam bewegt sich träge: Die Stadt ist in Trauer, sie erholt sich noch immer von der Seuche, die erst wenige Monate zuvor einen von neun Menschen dahingerafft hat.

Ein paar Meter von der Gracht entfernt, setzt in der Breestraat Nummer 4 der bankrotte und leicht angetrunkene Rembrandt van Rijn den letzten Pinselstrich auf sein Gemälde Jakob segnet die Söhne des Joseph, signiert es in der rechten unteren Ecke mit seinem Namen, wirft seine Palette auf den Fußboden, dreht sich um und steigt die schmale Wendeltreppe hinunter. Das Rembrandt-Haus, drei Jahrhunderte später dazu bestimmt, sein Museum und sein Denkmal zu werden, ist an diesem Tag Zeuge seiner Schmach: Es wimmelt von Bietern, die auf die Versteigerung sämtlicher Habseligkeiten des Künstlers warten. Er schiebt die Gaffer auf der Treppe unsanft zur Seite, tritt aus der Haustür, atmet die salzige Luft ein und stolpert auf das Wirtshaus an der Ecke zu.

In Delft, sieben Kilometer weiter südlich, geht der Stern eines anderen Künstlers auf. Der fünfundzwanzig Jahre alte Johannes Vermeer wirft einen letzten Blick auf sein neues Werk Bei der Kupplerin. Er begutachtet es von rechts nach links. Als erstes die Prostituierte mit der prächtigen, gelben Joppe. Gut. Gut. Das Gelb glänzt wie poliertes Sonnenlicht. Und die Gruppe von Männern, die sich um sie schart: Ausgezeichnet – jeder von ihnen könnte ohne weiteres aus der Leinwand heraustreten und ein Gespräch beginnen. Er beugt sich näher heran, um den angedeuteten und doch durchdringenden Blick des anzüglich grinsenden jungen Mannes mit dem geckenhaften Hut einzufangen. Vermeer nickt seiner eigenen Miniatur zu. Ausgesprochen zufrieden signiert er das Gemälde in der rechten, unteren Ecke mit seinem Namen und einem Schnörkel.

Zurück in Amsterdam, in der Breestraat Nummer 57, nur zwei Straßen von der bevorstehenden Versteigerung in Rembrandts Haus entfernt, macht sich ein fünfundzwanzig Jahre alter Kaufmann (nur wenige Tage älter als Vermeer, den er sehr verehren, aber nie persönlich treffen wird) daran, seinen Import-Export-Laden zuzusperren. Für einen Krämer ist er eigentlich zu schmal und zu hübsch. Seine Gesichtszüge sind perfekt, seine olivfarbene Haut makellos, die Augen groß, dunkel und schwermütig.

Er sieht sich ein letztes Mal um: Viele Regale sind so leer wie seine Taschen. Seeräuber haben seine letzte Lieferung aus Bahia abgefangen, und nun gibt es keinen Kaffee, keinen Zucker und auch keinen Kakao. Über eine Generation lang betrieb die Spinoza-Familie ein blühendes Handelsgeschäft, doch nun ist für die Spinoza-Brüder Gabriel und Bento nur noch ein kleines Einzelhandelsgeschäft übrig geblieben. In der staubigen Luft, die Bento Spinoza einatmet, macht er resigniert den übelriechenden Rattenkot aus, der den Duft der getrockneten Feigen, der Rosinen, des kandierten Ingwers, der Mandeln und der Kichererbsen begleitet und sich in die scharfen Dämpfe des spanischen Weines mischt. Er geht hinaus und stellt sich seinem täglichen Duell mit dem verrosteten Vorhängeschloss an der Ladentür. Eine unbekannte Stimme, die ihn gestelzt auf Portugiesisch anspricht,